Markus A. Langer

Editor

Media Manager

Environmental Scientist

Geographer

Interview with Alexandra Borchardt

Auf in die digitale Zukunft

„Text bleibt weiterhin die beliebteste Vermittlungsform von Nachrichten in Europa“, sagt Alexandra Borchardt, Expertin für Medien und digitale Transformation. Verlagen rät sie dringend, deren PrintAbonnenten die digitale Welt schmackhaft zu machen.

Noch 42 % der Menschen in Österreich greifen zur gedruckten Zeitung. Aber in den vergangenen 7 Jahren war ein enormer Rückgang zu verzeichnen. Die Kosten der Zeitungsproduktion für Papier, Energie und Logistik sind in den vergangenen Monaten enorm gestiegen. Hat es noch Sinn unbedingt an einem Printprodukt festzuhalten?

Alexandra Borchardt: Man soll sich nicht krampfhaft an Print festklammern, denn es kann gut sein, dass es sich einfach irgendwann nicht mehr rechnet. Was man auf jeden Fall machen muss, ist, journalistische Produkte verstärkt ins Digitale zu bringen, wenn man die nachkommende Generation erreichen möchte. Es ist ganz klar, dass junge Menschen sich vor allem über digitale Kanäle informieren. Mittlerweile klagen viele Verlage, dass die Zustellung von Printprodukten immer komplizierter und teurer wird. Sie sind gut beraten, wenn sie Print-Abonnenten „digital aktivieren“, also wenn sie diesen sozusagen das Digitale schmackhaft machen. Ein erster Schritt dafür kann das ePaper sein. 

 

In welchen Bereichen würden Sie denn Chancen für Printprodukte sehen? Auch bei einem jüngeren Publikum.  

In Deutschland ist zum Beispiel das Magazin „Katapult“ bei gut ausgebildeten jungen Leuten um die 20 Jahre ein Erfolg. Dieses Magazin stützt sich sehr stark auf Infografiken und behandelt aktuelle politische, aber auch Alltagsthemen. Da hat offensichtlich der Verleger einen Nerv getroffen. Natürlich kommen immer wieder Printprodukte, die plötzlich angesagt sind. Aber schauen wir uns die Musikindustrie an: Die Langspielplatte ist auch nicht ganz tot, aber eben doch nur mehr ein Liebhaberobjekt. So wird es vermutlich auch dem Print ergehen. Ein bisschen anders sieht es bei Büchern aus. Entgegen den Vorhersagen ist der Anteil der eBooks gar nicht so viel weiter angewachsen, weil die Menschen offensichtlich noch ganz gerne ein Buch aus Papier lesen. Auch junge Menschen, wenn sie genug von der ständigen Überflutung mit Reizen am Smartphone haben. 

Es ist wirklich interessant, dass trotz aller Möglichkeiten – wie Video und Podcast – Text immer noch eine der beliebtesten Vermittlungsformen ist, weil es relativ wenig zeitaufwendig ist. Das belegt zum Beispiel der Digital News Report des Reuters Institutes in Oxford, die weltweit größte fortlaufende Studie zum Medienkonsum. Es geht schneller, einen Text zu lesen, als sich eine Dreiviertelstunde lang einen Film anzuschauen oder einen Podcast von 25 Minuten zu hören. Selbst junge Leute greifen noch sehr stark auf Text zu – auf jeden Fall in unseren Breiten. 

 

Sind Leserinnen und Leser heute noch bereit ist, etwas für Inhalt zu zahlen? 

Interessanterweise ist die jüngere Generation eher bereit, etwas zu zahlen, als die ältere. Als das Internet aufkam, waren wir alle so daran gewöhnt, dass alles, was im Netz ist, kostenlos ist. Dann kamen mit den Smartphones diverse Apps auf den Markt und etliche Menschen sind wieder daran gewöhnt worden, dass man auch für dieses und jenes bezahlen muss. Die Zahlungsbereitschaft für journalistische Abonnements ist in Deutschland und Österreich in den vergangenen Jahren größer geworden, aber ist mit 14 % in beiden Ländern immer noch relativ gering. Der Anteil der Konsumenten, die für digitalen Nachrichteninhalt zahlen, ist im Vergleich dazu besonders hoch in skandinavischen Ländern wie Norwegen (41 %) und Schweden (33 %). Medienunternehmen haben durchaus Chancen, mit einem gut gemachten journalistischen Produkt Menschen zum Zahlen zu bewegen. Wie viel sie dann dafür zahlen, ist eine andere Frage. Es wird bestimmt nicht der Preis erzielt, der für ein Printprodukt erzielt wurde. 

 

Die heute oft zitierte digitale Transformation wandelt auch die Medienunternehmen. Nach Ihrer Ansicht geht es dabei nicht nur um Technologien.  

Die technischen Probleme sind mittlerweile meines Erachtens überwiegend gelöst, auch wenn hier und da die Technik vielleicht noch nicht ganz klappt. Die digitale Transformation bedeutet vor allen Dingen einen Kulturwandel. Sie hat die Kommunikationswege verändert: Aus einer Einbahnstraße ist eine in beiden Richtungen befahrbare Straße geworden. Es gibt einen Rückkanal, so dass sich nicht nur Menschen mitteilen und aktiv teilnehmen können, sondern die im Journalismus Tätigen können sehr viel mehr Einblicke über das Verhalten der Nutzenden erhalten als es früher der Fall war. Ein anderer wichtiger Punkt in diesem Kulturwandel ist natürlich, dass wir uns mittels der verfügbaren Geräte zu jeder Zeit und überall auf dem Laufenden halten können. Damit ändern sich Ansprüche, wann Nachrichten verfügbar sein müssen. Außerdem gibt es auf einem Smartphone unendlich viele Ablenkungsmöglichkeiten. Dieser Kampf um Aufmerksamkeit ist extrem gewachsen. Verlage müssen sich Strategien überlegen, wie sie einerseits Aufmerksamkeit wecken, aber andererseits die Leute nicht zu viel zuschütten, so dass diese nicht ganz genervt sind und sich aufgrund des Überangebots einfach abwenden.  

 

Sie sprechen von Zumüllen mit News. Was zunehmend ein Problem werden könnte, ist eine sogenannte Nachrichtenmüdigkeit oder Nachrichtenvermeidung. Was ist darunter zu verstehen? 

Da sind zwei Dinge zu unterscheiden: Menschen gehen bewusst Nachrichten aus dem Weg, weil ihnen alles zu viel wird. Gerade mit dem Krieg in der Ukraine haben viele ihren Nachrichtenkonsum bewusst reduziert, weil sie diese bedrückenden schlechten Nachrichten nicht ertragen können. Sie sagen entschlossen: „Ich schalte jetzt ab.“  

Es kann aber auch heißen, dass Menschen überhaupt Journalismus nicht wichtig für ihr Leben finden und deswegen einfach gar keinen konsumieren, weil sie eben denken, sie werden schon irgendwie mitbekommen, wenn etwas Wichtiges passiert.  

Neben den News Avoiders gibt es die Gruppe der News Outsider, also Menschen, die man mit den traditionellen journalistischen Produkten gar nicht erreicht. Das sind überwiegend Bevölkerungsteile mit geringer Bildung oder aus Einwanderer-Communities, die relativ abgeschottet leben oder solche, für die Medien kein Angebot haben. Sie sehen sich und ihre Bedürfnisse nicht im gängingen Journalismus gespiegelt. Diese Tatsache muss natürlich den Verlagen oder öffentlich-rechtlichen Anstalten Sorgen bereiten, wenn sie Menschen nicht mehr erreichen. Denn gut informierte Bürger sind Grundlage für eine Demokratie und überhaupt für das Funktionieren des Alltags. Deswegen ist Nachrichtenvermeidung aus meiner Sicht ein größeres Problem als die Vertrauenskrise. Letztere wird immer sehr stark betont. Aber de facto vertrauen doch noch recht viele Menschen den Medien. Es gibt eine lautstarke Minderheit, die den Medien nicht vertraut, und deswegen wirkt das manchmal so, als dass die Medien so viel Vertrauen verloren haben.  

 

Gehen wir aber doch näher auf die Vertrauenskrise ein. In Österreich ist das Vertrauen in Medien geringer als in Deutschland, 41 % zu 50 %. Im Gegensatz dazu ist es in Finnland sehr hoch mit 69 %. In Österreich hat der Vertrauensverlust vielleicht in letzter Zeit auch etwas mit der großen Nähe von Journalisten zu Politikern zu tun. Wie kann man dann eigentlich Vertrauen zu Journalismus oder zu Journalisten wiedergewinnen?  

Da gibt es tatsächlich eine Korrelation. Also dort, wo es politisch sehr konfliktreich zugeht, wo die Menschen das Vertrauen in politische Institutionen verlieren, verlieren sie automatisch auch immer ein Stück weit das Vertrauen in die Medien. Während der Covid-19-Pandemie sind die Vertrauenswerte fast überall erst einmal nach oben gegangen, weil die Menschen überlegt haben, wo sie sich verlässlich informieren können, Dann haben sie doch eher den Medien vertraut als irgendwelchen Freunden, Verwandten, Experten usw.  

Wie kann man Vertrauen zurückgewinnen? Das ist eine schwierige Frage. Ganz wichtig für die Vertrauensbildung ist, wieder näher an die Menschen heranzugehen. Mehr den Nutzerinnen und Nutzern zuzuhören, was wirklich deren Bedürfnisse sind: Was erwartet ihr eigentlich von uns? Was sind die Themen, die euch wirklich umtreiben?  

Zweitens: Unabhängiger Journalismus ist unerlässlich. Wenn Menschen wirklich darauf vertrauen können, dass auch den Entscheidungsträgern auf die Finger geschaut wird, dann haben sie eher Vertrauen in den Journalismus. Wenn sie das Gefühl haben, Journalisten sind Teil einer Elite und machen gemeinsame Sache mit der Spitzenpolitik, mit den großen Entscheidern in der Wirtschaft, dann werden sie misstrauisch sein – und das auch zu Recht.  

Und letzter Punkt: Angesichts vieler falscher Behauptungen, die gerade im Digitalen kursieren, gilt es, nicht allem blind zu vertrauen, sondern immer einen Gegencheck zu machen. In der Medienbildung bringt man gerade jungen Leuten bei: Ein gewisser Grad an Misstrauen und Skepsis ist gut und gesund. Wenn man 100-prozentiges Vertrauen hätte, dann hätte das wahrscheinlich eher mit Propaganda und einem System zu tun, in dem keine abweichenden Meinungen geduldet werden. Insofern ist diese Vertrauensfrage immer mit ein bisschen Vorsicht zu genießen.  

 

Künstliche Intelligenz ist ein großes Zukunftsthema. Sprachbots wie ChatGPT sorgen gerade für Aufregung und Avatare – digitale Doppelgänger – werden immer besser. Wie könnte künstliche Intelligenz den Journalismus verändern und welche Chancen gibt es auch?  

Es wird viele Möglichkeiten in Zukunft geben. Im Moment muss man noch die künstliche Intelligenz gegenchecken, weil zum Beispiel beim populären Bot ChatGPT nicht immer klar ist, auf welche Quellen er zurückgreift. Tools der künstlichen Intelligenz werden künftig Texte zielgruppengerecht schreiben, umschreiben und vieles andere können, zum Beispiel Interviewfragen für die Redakteure erstellen. Eine große Chance sehe ich darin, dass sich Redaktionen viele Routineaufgaben von künstlicher Intelligenz abnehmen lassen. Nichtsdestotrotz bleibt natürlich die Verantwortung der Redaktionsmitglieder riesengroß, auf die Faktentreue zu achten. Eine Gefahr beim vermehrten Einsatz von künstlicher Intelligenz könnte sein, dass man der Versuchung erliegt, noch mehr Masse zu produzieren, anstatt Inhalt mit erhöhter Qualität für bestimmte Zielgruppen aufzubereiten. Die gewonnene Kapazität, die man eben nicht mehr für Routinearbeiten einsetzen muss, können Medienschaffende dazu verwenden, tiefergehende Recherchen anzustellen, investigative Projekte zu entwickeln oder ganz einfach wirklich gut erzählte Geschichten zu bringen.  

 

Der wichtigste Megatrend unserer Zeit: Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Klimawandel sind keine Nischenthemen mehr. Warum birgt der Klimajournalismus große Potenziale, den Journalismus insgesamt in die Zukunft zu bringen?   

Der Journalismus heutzutage ist noch sehr davon getrieben, täglich eine neue Nachricht zu bringen. Klimajournalismus muss sich eher mittelfristig orientieren und über etwas berichten, bei dem es nicht jeden Tag ein neues Ereignis oder eine neue Entwicklung gibt. Das trotzdem spannend und interessant zu präsentieren, bedeutet eine große Herausforderung. Klimajournalismus sollte sich an verschiedene Zielgruppen in unterschiedlicher Ansprache richten. Wenn man diese Aufgabe richtig hinbekommt, dann schafft man anspruchsvollen Journalismus auch mit vielen anderen Themen, die uns in Zukunft beschäftigen werden. 

 Der heutige Journalismus ist sehr darauf konzentriert, was irgendjemand gesagt hat. Er hängt sozusagen an den Lippen der Entscheider. Das interessiert das Klima gar nicht, sondern nur das, was getan wurde. Ein Journalismus, der sich mehr darauf stützt, was wirklich passiert ist, statt immer nur zu referieren, was sie oder er gesagt hat, ist tatsächlich ein besserer Journalismus, der grundsätzlich mehr nachgefragt wird. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Wissenschaft ist dabei unumgänglich. Man kann nicht bei jedem Sturm gleich sagen, daran ist der Klimawandel schuld, sondern Journalisten müssen zunächst schauen, ob irgendwelche Wetterphänomene klimabedingte Ursachen haben könnten oder nicht. Dieses differenzierte An-Themen-Herangehen hilft dem Journalismus im Allgemeinen, der doch oft sehr schnell und oberflächlich bleibt und sehr auf Schlagzeilen aus ist. In unserer Welt gibt es meistens sehr viel mehr Grautöne als diese Unterscheidung zwischen Schwarz und Weiß, die der Journalismus der Gegenwart sehr oft bringt.  

 

Wenn man sich den Digital News Report genauer ansieht, fällt auf, dass doch 24 % der österreichischen Konsumenten News Content über E-Mail erhalten. Kommt es hier zu einer Renaissance des E-Mail-Newsletter?  

 Diese morgendlichen Newsletter über das Tagesgeschehen sind schon recht beliebt. Manche Menschen sehen den E-Mail-Newsletter als die neue Tageszeitung an. Jeder kann nach seinem Interessengebiet heraussuchen, was er oder sie haben möchte. Es wird sich in den nächsten Jahren zeigen, wie sich das Ganze einspielt. Ich sehe schon die Gefahr, dass eine gewisse Übersättigung eintreten kann, aber gleichzeitig wird der Newsletter immer noch eine Möglichkeit bieten, viele Nutzer zu erreichen. Und vor allem ist dieser ein Kundenbindungsinstrument. Menschen, die man per E-Mail erreicht, erinnert man als Medienunternehmen immer wieder daran, dass es einen gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen dann auf das Produkt zugreifen, ist höher, als wenn sie aktiv auf die Website oder in die Nachrichten-App gehen müssen. 

 

Prof. Dr. Alexandra Borchardt hat sich als Beraterin, Autorin und Dozentin der Förderung des Qualitätsjournalismus verschrieben. Mit mehr als 25 Jahren Erfahrung im Journalismus bei großen deutschen Medienmarken, 15 davon in Führungspositionen, unterstützt sie europäische Verlage bei der digitalen Transformation, unter anderem im Table Stakes Europe Programm der Wan-Ifra. Sie leitet das Journalism Innovators Program an der Hamburg Media School und ist dem Reuters Institute for the Study of Journalism an der University of Oxford als Senior Research Associate verbunden. An der TUM School of Management der TU München lehrt sie als Honorarprofessorin Leadership und Digitalisierung.